“Er ist Deutscher?! Töte ihn!”
Diese zwei Sätze bekam ich während einer meiner ersten Begegnungen mit offenem Rassismus in Vietnam zu hören.
Es war schon spät. Tuấn und ich waren auf dem Weg zu einem kleinen Hotel, um dort die Nacht zu verbringen. Zuvor machte uns sein Vermieter klar, ich könne nicht bei Tuấn zu Hause schlafen…weil ich Ausländer bin.
Du musst wissen, diese Geschichte spielte sich während der ersten 4 Wochen in Vietnam ab. Zu dieser Zeit lebte ich noch in dem Studentenwohnheim im Süden der Stadt.
Mein Problem an diesem Abend: Es war zu spät.
Die Tore des Wohnheims schlossen um 23 Uhr und es war bereits fast Mitternacht. Ich hatte also keinen Schlafplatz.
Tuấn’s Nachbarn hatten uns an diesem Abend zum Essen eingeladen. Es wurde viel geredet und gelacht. Ein schöner Abend.
Ich fühlte mich sehr wohl, so umgeben von jungen Vietnamesen. Sie sangen viele Lieder und versuchten nebenbei alles über mich zu erfahren, was ihnen in den Sinn kam. Ich war irgendwie integriert.
Auf eine Art machten sie mir klar, dass es für sie keinen Unterschied mache, welche Hautfarbe ich habe. Es wurde spät und wir vergaßen ein wenig die Zeit.
Ich musste irgendwo schlafen und wie du ja nun schon weißt, ging dies nicht bei Tuấn zu Hause.
Wir entschlossen uns dazu, uns ein Hotelzimmer für die Nacht zu mieten und fuhren ein paar Kilometer Richtung Giải Phóng.
Auf dem Weg zum Hotel besorgten wir uns Bánh bao und wurden prompt über mich ausgefragt. Eine der Verkäuferinnen am Straßenrand sagte es dann:
“Er ist Deutscher? Töte ihn!”
Zunächst verstand ich natürlich gar nichts, bis Tuấn dann zwischendurch für mich übersetzte…
Ein wenig geschockt war ich schon, auch wenn ich das Gefühl hatte, die Frau hatte es zumindest halb im Scherz gesagt.
Richtig toll konnte ich es jedenfalls nicht finden. Sie hatte immerhin etwas Krasses über mich gesagt, nur weil ich aus einem bestimmten Land kam.
Dabei kannte sie mich doch gar nicht…
Dies war eine meiner ersten negativen Begegnungen mit dem Thema Rassismus in Vietnam.
In der Regel wirken sich die Vorurteile gegenüber meiner Person für mich persönlich aber eher positiv aus.
Dennoch gehen sie mir ziemlich auf die Nerven. Denn, nach fast einem Jahr in Vietnam fühle ich mich schon gut integriert und möchte nicht ständig der Ausländer sein.
Was ist Rassismus und wovon schreibe ich hier?
In diesem Beitrag, der viel mehr ein Impuls sein soll, geht es um ein etwas sensibleres Thema: Rassismus bzw. die auf diesem beruhende Diskriminierung oder Vorurteile.
Ja, es gibt ihn und in Vietnam “nicht zu wenig”. Aber keine Sorge, eine Situation wie die oben Beschriebene erlebte ich nur das eine Mal. Dennoch, als europäisch oder überhaupt anders Aussehender bin ich ständig irgendwelchen rassistischen Vorurteilen oder Aussagen ausgesetzt.
Doch, wenn ich “Rassismus” schreibe, was meine ich eigentlich? Ich richte mich dabei nach einer allgemeinen Definition. Eine davon findet sich auf der Startseite von gib-rassismus-keine-chance.org: Danach verstehe man unter Rassismus
Handlungen, Redeweisen oder Einstellungen, die Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Kultur oder ethnischen Herkunft bevorzugen oder benachteiligen.
Diese recht weit gefasste Definition soll für diesen Beitrag erst mal reichen. Wenn ich also von “Rassismus” oder “Vorurteilen” schreibe, beziehe ich mich auf Definitionen wie die obige.
Wichtig ist jedoch, es gibt nicht die eine Rassismus-Definition. Viele Menschen haben sich bereits an einer Definition versucht, eine allgemein Anerkannte gibt es jedoch nicht.
Die Sache mit der Hautfarbe…
Folge ich dieser Definition, lässt sich Rassismus in “Bevorzugen” und “Benachteiligen” aufgrund phänotypischer Unterschiede einteilen. Dabei seien die Begriffe “positiver” und “negativer” Rassismus gleichbedeutend mit “bevorzugen” und “benachteiligen”.
Die Anfangs erwähnte Situation auf der Straße, bei der die alte Verkäuferin sagte, mein Freund solle mich töten, weil ich deutsch sei, entspricht also klar einem negativen Rassismus. Diese Aussage hatte sie allein aufgrund meiner kulturellen bzw. nationalen Herkunft gemacht.
Auf die Idee danach zu fragen, kam sie natürlich nur, weil ich nicht vietnamesisch – nicht mal asiatisch – aussehe.
Hast du sowas schon mal erlebt?
An einem Abend wurde mir klar gemacht, ich könne nicht im gleichen Haus wie mein Freund schlafen – obwohl dieser seine Wohnung gemietet hatte – und man sagte über mich, man solle mich töten. Das nur, weil ich bin, was ich bin.
Viele meiner Leser sind in Deutschland geboren und sehen so aus, wie es die meisten erwarten würden: Weiße Haut, etwa 1,80 m groß (bei Männern) und so weiter. Du weißt schon, was ich meine. (Entsprechendes gilt natürlich für Frauen und alle anderen Ethnien.)
Wer von euch – “phänotypischen Deutschen” – hat schon mal erlebt, aufgrund seines Äußeren besonders bevor- oder benachteiligt zu werden?
Ich muss ehrlich zugeben: Ich dachte vor Vietnam immer, ich sei besonders offen und wüsste schon, wie sich Rassismus anfühle. Ich war immer dagegen, andere Menschen aufgrund solcher Merkmale, wie in der Definition oben, anders zu behandeln. Aber hatte ich eigentlich verstanden, warum?
Klar, ich wuchs mit Russen auf, hatte immer schon asiatische Freunde oder Bekannte und so weiter. Für mich war es normal mit “nicht-typisch-Deutschen” zu interagieren. Oft war ich der Einzige in meinem Freundeskreis, der in Deutschland geboren war.
Aber wusste ich wirklich, in welcher Rolle meine Freunde damals waren? Konnte ich verstehen, wie sich das manchmal anfühlen muss?
Ich glaube nicht…
Erst jetzt in Vietnam habe ich gelernt, was es heißt eine andere Hautfarbe zu haben als rund 99,1% der anderen Menschen im Land.
Und weißt du wie das ist?
Es ist großartig…
und grausam zugleich!
Warum “großartig”?
Weil ich etwas Wichtiges gelernt habe, das mich mein Leben lang beeinflussen wird. Nach 10 Monaten in einem Land, in dem (fast) alle anders aussehen als ich, war und bin ich jeden Tag gezwungen mich dem auszusetzen.
Und das ist ehrlich gesagt eine Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin.
Ich würde sogar so weit gehen und sagen: Jeder Mensch sollte diese Erfahrung (in dieser abgeschwächten Form) einmal machen – ich denke, die Welt wäre ein besserer Ort.
Für mich selbst bedeutet diese Erfahrung also, dass ich kulturelle und äußere Unterschiede zwar wahrnehme, aber nicht nach ihnen urteile.
In Zeiten von ISIS, Migrationsströmen nach Europa und einer wachsenden Fremdenfeindlichkeit, fühle ich mich gerade seltsam ruhig mit mir. Ich bin zufrieden darüber, dass ich nun wirklich verstanden habe, wie das ist, ein Ausländer zu sein.
Denn jetzt bin ich der Fremde.
Meine Hautfarbe ist anders.
Ich spreche die Landessprache nicht fließend.
Sich dieser Herausforderung stellen zu dürfen, ist eine großartige Erfahrung. Es ist mit dir teilen zu können, macht es noch wertvoller.
Der Alltag als “Weißer”
Aber ich will ehrlich mit dir sein: Natürlich ist das im Alltag nicht immer witzig.
Ich gehe auch nicht ständig mit dem Gedanken durch die Straßen, dass ich eine wertvolle Erfahrung mache und denke “Ach, wie schön, dass ich hier fremd bin und das lernen darf”.
Im Alltag nervt das Anderssein sehr.
Wenn mich Menschen hier nicht kennen, halten sie mich zunächst für einen Touristen, weil Leute die wie ich aussehen, hier i.d.R. nicht geboren werden. Wenn du wie ich schon 10 Monate in einer Stadt als Ausländer lebst, willst du das nicht mehr.
Das fühlt sich vor allem irgendwie ungerecht an. Immerhin gebe ich mir sehr viel Mühe, mich so gut es geht zu integrieren.
Erst wenn ich anfange zu sprechen, löst sich so eine Situation. Ich bekomme oft ein herzliches Lächeln als Reaktion und von diesem Moment an fühle ich mich willkommen.
Dann kommen meine Manieren hinzu, die spätestens jetzt auffallen. Dank meines Freundes beherrsche ich (nahezu und meistens) das gesamte Set an vietnamesischen Manieren. Das macht meistens echt Eindruck.
Dennoch, das passiert auch nicht immer.
In den meisten Situation bin ich nur “der weiße Tourist”:
Jemand, der von sich denkt, er integriere sich mühevoll und sich wünscht, die auf eine Art auch anerkannt zu bekommen.
Der innerlich nur dazu gehören möchte…
Aber in der Realität wirst du als Fremder eben auch meistens der Fremde bleiben. So sind wir Menschen leider…
Und selbst wenn ich die schönen Reaktionen auf mein Bemühen hin bekomme, so sind sie besonders schön für mich, weil ich ein Ausländer bin.
Oder hast du schon mal einen Deutschen dafür gelobt, wie schön er sich in “unsere” Gesellschaft integriert?
Ich fühle mich also auf eine Art wie etwas Besonderes – und bekomme das auch immer wieder reflektiert – will es aber eigentlich gar nicht.
Ein seltsamer Widerspruch, denn auf der anderen Seite mögen es Menschen nun mal, als etwas Besonderes behandelt zu werden.
Es gibt noch so vieles, das ich ich zu dem Thema schreiben möchte und ich könnte dir unzählige Beispiele von Situationen, in denen mir das Thema begegnet, nennen.
Dieser kurze Beitrag soll nur eine Art Impuls sein. Etwas, dass dich (und mich) zum Nachdenken über das Thema anregt. Schreib mir mal, was du dazu denkst, oder schreib’s in die Kommentare.
Willst du mehr Auseinandersetzungen meinerseits mit dem Thema Rassismus in Vietnam? Hinterlasse gerne einen Kommentar.
Hinterlasse einen Kommentar
21 Kommentare auf "“Er ist Deutscher?! Töte ihn!” – Rassismus in Vietnam: Ein Impuls"
Danke dir, Simon 😉
Das Thema ist auch wirklich spannend und leider wird es zu oft ausgespart. Ich glaube aber auch, als einfacher Tourist ist es schwierig dafür ein Feeling zu bekommen. Ich werde mich definitiv weiter mit dem Thema auseinandersetzen und anscheinend kommt es ja auch gut an 🙂
Rassismus gegenüber Asiaten ist hier auch echt nicht ohne. Allen voran sind hier natürlich die Chinesen recht unbeliebt in Vietnam. Sobald etwas oder jemand mit China zu tun hat, hagelt es mindestens böse Blicke (überspitzt gesagt).
Viele Grüße,
Etienne
oh ja. Stimmt, die Erfahrung mit den Vietnamesen und ihre Abneigung gegenüber China/Chinesen habe ich auch gemacht.
Hey Claudi 🙂
Schön, dass dir mein Artikel so gut gefällt 🙂
Oh ja, an den alten Mann in Stettin erinnere ich mich noch gut. Vor allem, weil ich ja zwei Stunden zuvor von ‘nem scheiß Nazi angeblökt wurde. Das war ein seltsamer Tag.
Ich finde es schön, so einen aufschlussreichen Kommentar von dir zu lesen und freue mich natürlich, dass er gut bei dir ankommt 🙂
Wie bereits erwähnt, werde ich in den folgenden Beitragen immer mal wieder auf das Thema zurückkommen. Ich finde es einfach sehr interessant und lehrreich, auch wenn es natürlich nicht immer nur schön ist.
Danke, Claudi 😉
Das Wort “Giết” bedeutet im Handel: “Preiserhöhung” oder “teuer machen”. Das bedeutet nicht nur “töten”. Ich glaube, dass die Frau meinte “Er ist Deutsche (Tourist) macht die Preise richtig teuer(er hat Geld, er kann zahlen)”. Das kenne ich aus eigene Erfahrung.
Das ist eine sehr gute und anschauliche Geschichte, Mạnh Thái 🙂
Danke, dass du diese hier geteilt hast und damit einen weiteren möglichen Grund für das Verhalten der Frau genannt hast.
Es ist vielleicht schon etwas spät um auf diesen Beitrag zu antworten aber ein möglicher Grund für das aufbrausen der Frau könnte gewesen sein, das du mit dem Rücken zu einer im Tempel befindlichen Buddha Statue standest. Das ist nämlich eine für gläubige bhuddisten eine sehr respektlose Geste.
Hi Janick,
das stimmt 😀 Allerdings gab es damals an der Ecke keinerlei Tempel.